28. August 2013 | Dipl.-Met. Jens Hoffmann
Im Westen freundlich, gebietsweise mäßig warm
*** Achtung, langer Text ****
Bevor es an dieser Stelle zu Irritationen kommt, es handelt sich bei der Überschrift nicht um eine Beschreibung der aktuellen Wetterlage. Obwohl, vielleicht stimmt es ja sogar, aber die Frage wäre dann: Wie weit geht der Westen, was heißt freundlich, welches Gebiet genau ist gemeint und welche Temperaturen stecken hinter mäßig warm?
Wie jedes andere Genre verfügt auch die Meteorologie, insbesondere
die Sparte, die sich mit der Wettervorhersage beschäftigt, über einen
speziellen Sprachduktus. Dazu gehören nicht nur Fachbegriffe wie z.B.
Kaltfront, Hochdruckbrücke, Trog usw., hinter denen ein relativ
klarer wissenschaftlicher Inhalt steckt. Manche Nutzer von
Wetterberichten - in der Regel Hobbymeteorologen - können mit den
meisten dieser Begriffe etwas anfangen und wissen sofort, was gemeint
ist. Andere tun sich etwas schwerer damit, was aber in der Natur der
Sache liegt. Für diese Fälle versucht der Meteorologe dann,
nutzerfreundliche Umschreibungen ins Spiel zu bringen. So wird z.B.
eine Warm- oder Kaltfront oder die Mischung daraus (so genannte
Okklusion) gerne als Tiefausläufer beschrieben, was in der
Öffentlichkeit offensichtlich ganz gut verstanden wird.
Neben den Fachbegriffen tauchen in den Wetterberichten aber auch
Worte und Begriffe auf, die im täglichen Sprachgebrauch völlig
"normal" sind und eigentlich auch von jedem benutzt respektive
verstanden werden. Und trotzdem treten immer wieder Fragen auf, was
genau hinter bestimmten Begriffen steckt. Wie im Folgenden anhand
einiger Beispiele erläutert wird, steckt manchmal eine klar
definierte Antwort dahinter. In anderen Fällen wiederum liegt eine
mehr oder weniger ausgeprägte Unschärfe vor, die z.T. aber vom
Meteorologen gewollt ist, weil er sich mit bestimmten Aussagen nicht
genau festlegen will. Und dann gibt es da noch die subjektiven
Termini, die ein wenig das (vermeintlich) menschliche Empfinden zum
Ausdruck bringen. "Last but not least" - damit es nicht zu einfach
wird - gibt es natürlich auch Kombinationen aus den eben genannten
Punkten.
Nun aber "in medias res":
Zu den klar definierten Aussagen in einem Wetterbericht gehören im
Winter die Begriffe wie "leichter, mäßiger, strenger Frost". So tritt
leichter Frost bei nächtlichen Minima zwischen 0 und -4 Grad, mäßiger
Frost bei -4 bis -10 Grad und strenger Frost von -10 bis -15 Grad
auf. Ab -15 Grad abwärts spricht man dann von sehr strengem Frost.
Eindeutig bestimmt sind auch Begriffe wie Sommertag (ab 25 Grad
aufwärts), heißer Tag (ab 30 Grad aufwärts), Tropennacht (nächtliches
Minimum über 20 Grad) oder im Winter Eistag (nicht über 0 Grad).
Etwas schwieriger wird es dann schon mit Bezeichnungen wie "mäßig
warm, mild, kühl usw.". Hierzu existiert beim Deutschen Wetterdienst
eine Tabelle, die vor vielen Jahren erstellt wurde. Sie orientiert
sich an langjährigen Beobachtungen sowie daraus resultierenden
Mittelwerten und beschreibt, welche Attribute in den verschiedenen
Jahreszeiten oder Monaten bei bestimmten Temperaturen benutzt werden
sollen.
So spricht man im Sommer (Juni, Juli, August) von mäßig warm, wenn
die Tageshöchsttemperatur zwischen 21 und 23 Grad liegt (24-26 Grad:
warm, 27 bis 29 Grad: sehr warm, ab 30 Grad: heiß). Im Mai und
September wird von mäßig warm schon bei 18 bis 22 Grad gesprochen
(23-25 Grad: warm, 26 bis 29 Grad: sehr warm, ab 30 Grad: heiß). Kühl
ist es im Sommer dagegen bei 17 bis 20 Grad, sehr kühl bei unter 17
Grad. Im April hingegen ist es erst bei 6 bis 9 Grad sehr kühl und
bei 10 bis 12 Grad kühl, während man bei 18 bis 22 Grad von sehr
milder Luft spricht. In den Wintermonaten sollte das Wort "kühl"
überhaupt nicht auftreten, dort reicht die Spanne unter- bzw.
oberhalb der Normalwerte von sehr kalt bis mäßig kalt sowie von mild
bis ungewöhnlich mild.
Ganz schön kompliziert das Ganze, zumal für exponierte Regionen wie
Küste, Inseln, Täler, Gebirge auch noch Zu- oder Abschläge zu den
Werten dazukommen. Letztlich stellt die Tabelle eine Stütze für den
Meteorologen dar, wenn es darum geht, eine Luftmasse zu
quantifizieren. Der Nutzer freilich kann sich die ganzen Zahlen nicht
merken. Muss er auch nicht, schließlich beinhalten Wetterberichte in
der Regel die erwarteten Tageshöchstwerte. Dass bei der ganzen
Angelegenheit auch ein Schuss Subjektivität dabei ist, versteht sich
von selbst. Es gibt durchaus Zeitgenossen, die 26 oder 27 Grad im
Sommer schon als heiß empfinden und im Winter bei Temperaturen um den
Gefrierpunkt von kalt sprechen.
Zu der Liste der unscharfen Begrifflichkeiten gehören als Klassiker
die geografischen Himmelsrichtungen. "Im Westen regnerisch, im Süden
heiter, in der Mitte bedeckt etc.". Eine klar definierte Abgrenzung,
wo der Westen aufhört und die Mitte beginnt, wie weit der Nordwesten
landeinwärts reicht, ob München zum Süden oder Südosten (oder zu
beiden Regionen) gehört, ist nicht eindeutig definiert. Dasselbe
würde sehr wahrscheinlich auch eine öffentliche Befragung ergeben.
Die Meteorologen machen sich diese Unschärfen häufig zunutze, weil
sie dadurch sehr schön die natürlichen Unsicherheiten der Vorhersage
"kaschieren" können. Vor allem bei mittelfristigen Prognosen über
mehrere Tage ist das der Fall, während man bei kurzfristigen
Vorhersagen öfters auch zu detaillierten geografischen Begriffen
zurückgreifen kann (z.B. "zwischen Ostsee und Erzgebirge" statt
"Osten" o.ä.). Die Toleranz der Geografie hat natürlich auch seine
Grenzen. Wenn es im Wetterbericht also heißt "im Westen aufkommender
Regen" und die ganze "Chose" erreicht tatsächlich eine Linie
Görlitz-Berlin, dann ist irgendwas schief gelaufen.
Gerne wird auch immer mal wieder angefragt, wie weit das
"Nordseeumfeld" oder die "Alpennähe" reichen. Nun, auch dort gilt das
Unschärfeprinzip. Beim Beispiel "Nordseeumfeld" Aurich und Wittmund
ja, Bremen und Delmenhorst eher nein.
Zu den unscharfen Adjektiven in den Wetterberichten gehört z.B. die
Kaskade "vereinzelt, gebietsweise, verbreitet". Damit soll lediglich
zum Ausdruck gebracht werden, welche räumliche Ausdehnung ein
bestimmtes meteorologisches Ereignis (z.B. Regen) einnimmt, nicht
aber, wo genau es auftritt. Vereinzelt Regen meint, dass der Regen
punktuell auftritt, während gebietsweise etwa eine Region wie das
Emsland oder Ostfriesland beschreibt. Verbreitet wiederum heißt, dass
vielleicht 80 oder 90% der Fläche eines Landes betroffen sind.
Abschließend noch ein paar Gedanken zum Thema "Subjektivität". Immer
mal wieder hört oder liest man im Wetterbericht etwas von
"freundlich" oder "zunehmend freundlicher". Auch der Ausdruck "...bei
angenehmen 20 bis 25 Grad" oder so ähnlich kommt immer mal wieder
vor. Sowohl freundlich als auch angenehm sind subjektive Begriffe,
die eigentlich - so hat man es zumindest gelernt - ein Meteorologe
nicht in seinen Berichten verwenden sollte. Der Wetterbericht soll
Fakten rüberbringen, und ob das Wetter als freundlich oder die
Temperaturen als angenehm empfunden werden, obliegt dem Nutzer und
Konsumenten von Wetterberichten selbst - soweit okay. Aber, erstens
ist der Meteorologe auch nur ein Mensch, der das Wetter nicht nur
verwaltet, sondern auch empfindet und diese Empfindung ein bisschen
zum Ausdruck bringen möchte. Und zweitens bietet es sich manchmal
förmlich an, die genannten Ausdrücke zu verwenden. Oder wie würden
Sie es sehen, wenn nach tagelangem Dauerregen im Juli endlich mal
wieder die Sonne zum Vorschein kommt oder nach einer mehrwöchigen
Hitzeperiode mit über 30 Grad "nur" noch Werte um 23 Grad auftreten?
© Deutscher Wetterdienst
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