15. August 2014 | Dipl.-Met. Helge Tuschy
Die Ostsee - Skandinaviens "Feuerwasser"
Bereits am 3. August wurde im Thema des Tages über das außergewöhnlich warme Sommerwetter im Norden Europas berichtet.
Dabei sorgte dort ab Ende Juni eine Umstellung der Großwetterlage für
anhaltend warmes und stabiles Sommerwetter mit monatlichen
Temperaturabweichungen von 2 bis teils über 6 Kelvin (K). Wie hat
sich diese Witterung auf die Ozeane vor allem im Norden Europas
ausgewirkt?
Wasser reagiert bekanntlich sehr träge, wenn es um seine Erwärmung
oder Abkühlung geht. Grund hierfür ist die sogenannte "spezifische
Wärmekapazität" mit dem physikalischen Formelzeichen "c". Dabei
beschreibt "c", wieviel Wärme von einem Kilogramm eines bestimmten
Stoffes (wie Luft oder Wasser) abgegeben oder aufgenommen werden
muss, wenn sich seine Temperatur um ein Kelvin (1 K) ändern soll.
Wasser besitzt ein "c" von 4.19 kJ/(kg K), wobei "J" die
Energieeinheit "Joule" bedeutet. Somit muss z.B. 1 Liter Wasser eine
Wärme von 4,19 kJ aufnehmen, wenn es um 1 K erwärmt werden soll, was
etwa der vierfache Wert von Luft ist. Große Gewässer wie Meere
können somit auch erhebliche Mengen an Wärme aufnehmen oder abgeben.
Sie fungieren sozusagen als Langzeitgedächtnis des Wetters der
letzten Monate. Daher verwundert es auch nicht, wenn dank der
anhaltenden Wärme in Skandinavien in der Folge von viel zu warmen
Wassertemperaturen gesprochen werden muss.
Wie aber wird nun die Wassertemperatur ermittelt? Punktuell gibt es
Messstationen an den Ufern, auf Plattformen, Schiffen oder auch auf
schwimmenden Bojen. Die erste Art der Automatisierung fand mit
Schiffsmessungen statt. Der unterschiedliche Tiefgang von Schiffen
machte jedoch Vergleiche der Messungen sehr schwierig und außerdem
wurde nur entlang der wenigen Schiffsrouten regelmäßig gemessen.
Seit den 80-iger Jahren können aber nun flächendeckend die
Wassertemperaturen mit Hilfe von Satelliten weltweit ermittelt
werden. Bei der Abschätzung der Wasseroberflächentemperatur ist vor
allem der "Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer, MODIS"
besonders emsig, da er die Erde pro Tag etwa 14 mal umrundet und
eifrig Daten liefert.
Dem Satelliten ist es möglich, die Temperatur aus der obersten 1 mm
tiefen Schicht der Wasseroberfläche zu ermitteln.
Aber es sind ja nicht nur die Oberflächenwassertemperaturen von
Interesse, sondern auch die tieferen Schichten. Hier seien
sogenannte Ankerbojen erwähnt, mit denen sehr gute Vertikalprofile
erstellt werden können, was vor allem im Pazifischen Ozean mit der El
Nino/La Nina Vorhersage von großer Bedeutung ist. Ein Beispiel
hierfür ist das sogenannte "Tropical Atmosphere Ocean Triangle
Trans-Ocean Buoy Network" oder kurz: TAO/TRITON. Auch driftende
Bojen sind eine große Hilfe, wo Messungen in zuvor festgelegten
Tiefen vorgenommen werden. Mit mehr als 3000 Driftbojen weltweit ist
die Abdeckung sicherlich nicht vergleichbar mit den Satellitendaten,
aber dennoch von großer Hilfe. In Europa befinden sich viele Bojen
rund um Großbritannien und in der Biskaya, während sonst vor allem
die satellitengestützte Messungen verwendet werden.
Kommen wir nun aber von den Messmethoden zu den aktuellen
Bedingungen. In der Ostsee befindet sich die Temperatur der
Wasseroberfläche momentan auf einem sehr hohen Niveau mit verbreitet
über 20, teils bis 23 °C. Das bedeutet eine klimatologische
Abweichung (Referenzperiode 1971 bis 2000) von verbreitet mehr als 2
bis 3 Kelvin, im nördlichen Bottnischen und dem Finnischen Meerbusen
von über 4 Kelvin. Diese erheblichen Temperaturabweichungen beziehen
sich nur auf die unmittelbare Wasseroberfläche. Das zeigt sich
deutlich in den Gebieten, wo ablandige Winde das Wasser aufwühlen und
die Temperatur auf unter 15 Grad drücken.
Dennoch sorgen solch markante Temperaturabweichungen immer für
Sorgenfalten bei den Meteorologen, denn nun ist ein außergewöhnliches
Wärmereservoir vorhanden, das nur auf die ersten stärkeren
Tiefdruckgebiete wartet, um aktiviert zu werden. Durch das Advehieren
von hochreichend kalter Luft vom Atlantik über das warme Wasser der
Ostsee entsteht ein großer Temperaturunterschied zwischen
Wasseroberfläche und der Höhe. Dies unterstützt eine rege Schauer-
und Gewittertätigkeit.
Letzte Vorhersagekarten verschiedener Wettermodelle deuten die
kommende Woche über auf ein kräftiges Tiefdruckgebiet über Schweden
und Norwegen hin. Dieses lenkt kühle Atlantikluft von Südwest nach
Nordost über die sehr warme Ostsee, wobei die Luft während des langen
Weges über die Ostsee sehr viel Feuchtigkeit aufnehmen kann. Es ist
nun nicht verwunderlich, dass in küstennahen Gebieten von Südfinnland
bis nach Litauen die kommenden Tage über mit teils heftigen
Regenfällen und Gewittern gerechnet werden muss.
Dasselbe gilt für die küstennahen Gebiet der Nordsee, dem Skagerrak
und Kattegat, wo Wassertemperaturen von über 20 °C vorherrschen.
Einen ersten Vorgeschmack haben die Menschen entlang der Nordsee- und
Ostseeküste bereits erhalten, wo in den letzten Tagen immer wieder
kräftige Regenschauer und Gewitter auftraten, die durch das sehr
warme Wasser nochmals verstärkt wurden (z.B. heute (Freitag) bei
Gewitterdurchzug auf Hiddensee-Vitte mit 43 l/qm von 5 bis 7 Uhr
MESZ).
Bildlich zusammengefasst kann man sich das hier beschriebene wie ein
Pendel vorstellen. Auf der einen Seite des Pendels die heißen
Sommermonate, die für die Erwärmung des Wassers gesorgt haben und auf
der anderen Seite die Ozeane, die die gespeicherte Energie im Herbst
und Winter wieder abgeben. Da nun das Pendel in den letzten Wochen
vor allem in Skandinavien in eine Richtung sehr stark ausgeschlagen
hat (Hitze, Trockenheit, Waldbrände), ist zu befürchten, dass der
gegenläufige Ausschlag in den kommenden Wochen und Monaten stärker
als normal und somit mit heftigen Niederschlagen ausfallen könnte.
Bleibt zu hoffen, dass dies ohne größere Schäden einhergehen wird.
© Deutscher Wetterdienst
Bild: DWD
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