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23. September 2014 | Dipl.-Met. Adrian Leyser

"Medicane" - Ein Wirbelsturm am Mittelmeer

Die Autoren des "Thema des Tages" richten gerne den Blick über den Tellerrand hinaus und berichten über interessante meteorologische Phänomene weltweit. Vor allem dann, wenn sich das hiesige Wetter eher ruhig und weniger ereignisreich präsentiert.

Genau dies bietet sich für den heutigen Dienstag an. Denn hinter der Kaltfront von Tief GUDRUN, die Deutschland bereits gestern vollständig überquert hat, floss deutlich kühlere Nordseeluft polaren Ursprungs ein. Die zuvor wetterwirksame feuchtwarme und zu Schauern und Gewitter neigende Luftmasse wurde dabei nach Süden und Osten verdrängt. Gleichzeitig legt sich nun Hoch JOSEF von den Britischen Inseln her kommend mit seinem Kern über Mitteleuropa und bringt die angesprochene, vorübergehende Wetterberuhigung.


Der Blick richtet sich deshalb heute zum westlichen Mittelmeer. Ein
besonders in höheren Luftschichten ausgeprägtes Tiefdruckgebiet liegt
derzeit über der Iberischen Halbinsel. Angefüllt mit reichlich kühler
Luft verlagert es sich zögerlich ostwärts und überstreicht dabei auch
das westliche Mittelmeer. Zwischen dem noch sehr warmen Meereswasser,
den von dem Wasser erwärmten unteren Luftschichten und den sich im
Zuge der Tiefdruckverlagerung stark abkühlenden hohen Luftschichten
verstärkt sich die Temperaturabnahme mit der Höhe. Dies begünstigt
die Entwicklung hochreichender Quellwolken, die zu größeren
Gewittersystemen heranreifen können. Am Boden sind solche
"Gewittercluster" mit Luftdruckfall verbunden, sodass sie sich in der
Bodendruckanalyse als relatives Minimum des Luftdruckes
manifestieren. Bekanntlich "wirbelt" die Luft um einen solchen
Tiefdruckkern entgegen den Uhrzeigersinn, womit auch die Gewitter
eine derartige Rotation ihren Kern aufweisen.

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Fällt der Luftdruck nun stark genug, was direkt mit einer Zunahme der
Rotationsgeschwindigkeit der Gewitterwolken um das Tiefdruckzentrum
verbunden ist, bildet sich in einigen Fällen ein wolkenfreies "Auge"
im Kern des Tiefs. Absinkende und sich erwärmende Luftmassen sorgen
dort für Wolkenauflösung. In Satellitenbildern wirken solche
"Gewittertiefs" über dem Mittelmeer damit wie kleine tropische
Wirbelstürme (siehe dazu das Satellitenbild vom 26.01.1982).
Und tatsächlich bestehen einige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden
meteorologischen Phänomenen. Beide besitzen einen relativ zur
Umgebung warmen Kern, in der Regel keine Kalt- und Warmfronten und
beide Phänomene beziehen ihre Energie hauptsächlich aus dem warmen
Meerwasser. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass in den 1980er
Jahren die Bezeichnung "Medicane" für diese subtropischen
Wirbelstürme aufkam, eine Komposition aus den englischen Begriffen
"Mediterranean" (Mittelmeer) und "Hurricane" (tropische Wirbelstürme
über dem Nordatlantik).

Trotz der angeführten Ähnlichkeiten gibt es aber auch Unterschiede
zwischen den beiden Sturmvarianten. Abgesehen davon, dass die
stärksten Medicanes meist kleinere Ausmaße (200 bis 300 km
Durchmesser), eine geringere Lebensdauer (ca. 48 Stunden) und auch
eine nicht ganz so stark ausgeprägte Bodenzirkulation haben, ist ihr
warmer Kern oft nur auf die untersten Troposphärenschichten
beschränkt. In einigen Fällen wird er sogar von relativ zur Umgebung
kälterer Luft überlagert.

Tropische Wirbelstürme dagegen weisen während ihres Höhepunktes einen
durchweg warmen Kern bis hin zu höheren Luftschichten auf. Ein
weiterer Unterschied besteht in der räumlichen Anordnung der
Windmaxima. Bei tropischen Wirbelstürmen werden die höchsten
Windgeschwindigkeiten nahe des Sturmzentrums im Bereich der
sogenannten "Eyewall" (Wolkenwand des Sturmauges) registriert,
während die stärksten Böen bei Medicanes eher in den spiralförmig
angeordneten Gewittersystemen weiter vom Zentrum entfernt auftreten.
Übrigens, erst ab Geschwindigkeiten in Orkanstärke (112 km/h) spricht
man bei einem subtropischen Sturm über dem Mittelmeer von einem
"Medicane". Bemerkenswert sind auch die Niederschlagsmengen bis 500
Liter auf den Quadratmeter in 24 Stunden, die die Gewittersysteme in
einigen Fällen abladen.


Nun aber zurück zur aktuellen Situation im westlichen Mittelmeerraum.
Dort entwickeln sich, vor allem im Umfeld der Balearen, seit gestern
unter den genannten Bedingungen große, zusammenhängende
Gewittersysteme. In der Bodendruckanalyse lässt sich aber noch kein
eigenständiger Tiefdruckkern am Boden ausmachen. Die Gewitter sind
vielmehr eingebettet in eine sich von der Iberischen Halbinsel bis
hin zur Adria erstreckenden Tiefdruckzone. Allerdings deuten einige
Wettermodelle bis Dienstagabend und Mittwoch eine Zunahme der
Gewitteraktivität und weiteren Luftdruckfall an, sodass sich
womöglich doch ein neues Tief entwickeln könnte. Ob es für einen
waschechten Medicane reicht, ist aber zu bezweifeln. Ein
gelegentlicher Blick auf den Satellitenfilm und die ästhetischen
"Gewitterwirbel" lohnt sich aber allemal. Ob sich die Urlauber im
westlichen Mittelmeerraum über diese Entwicklung freuen, ist aber
dann doch eher fraglich.



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