09. Oktober 2014 | Dipl.-Met. Lars Kirchhübel mit Praktikantin Amelie Mayer
Sie sind eingeladen, sich mit der Erde zu drehen.
Am 3. Februar 1851 lud der französische Wissenschaftler Bernard Leon Foucault seine Kollegen zu einer Weltpremiere ein. Sie konnten an diesem Tag im Pantheon in Paris eine schwere Kugel, die an einem Seil an der Kuppel befestigt war, schwingen sehen.
Unspektakulär, finden Sie vielleicht? Ganz und gar nicht. Denn die Leute damals konnten zum ersten Mal etwas beobachten, was für uns heute selbstverständlich ist: dass sich die Erde wirklich dreht. Wenn man nämlich genau hinschaute, konnte man erkennen, dass das Pendel wie von "Zauberhand" seine Schwingungsrichtung änderte. Es drehte sich um etwa 11 Grad pro Stunde.
Diese Richtungsänderung nimmt man allerdings nur dann wahr, wenn man
sich als Beobachter auf der Erde befindet. Wäre man Astronaut und
würde man das Pendel aus dem Weltraum betrachten, so würde man
feststellen, dass es seine Schwingungsrichtung gar nicht ändert. Die
Erde dreht sich einfach unter dem Pendel "hindurch".
Da die Richtungsänderung des Pendels auf der Erde also nur
"scheinbar" auftritt, ist die Kraft, die für die Richtungsablenkung
erforderlich ist, eine "Scheinkraft". Den Namen für diese Kraft
verdanken wir erneut einem Franzosen: Gaspard Gustave de Coriolis. Er
hat die sogenannte Corioliskraft zwanzig Jahre vor der Erfindung des
"Foucault-Pendels" mathematisch hergeleitet.
Die Corioliskraft bewirkt, dass Bewegungen auf der Nordhalbkugel nach
rechts und auf der Südhalbkugel nach links abgelenkt werden. Leicht
zu verstehen ist das, wenn man sich vorstellt, man würde sich
ausgehend vom Äquator Richtung Nordpol bewegen. Wichtig ist hierbei,
dass die Rotationsgeschwindigkeit auf der Erde zum Pol hin abnimmt.
Läuft man jetzt ein Stück Richtung Nordpol, dann behält man die hohe
Rotationsgeschwindigkeit des Äquators bei, gelangt aber direkt in
Gebiete, in denen die Erdpunkte mit einer geringeren Geschwindigkeit
rotieren. Man eilt den anderen Erdpunkten also voraus, man überholt
sie. Dadurch befindet man sich weiter rechts als die Erdpunkte, die
auf einer Geraden Verbindung zwischen Startpunkt auf dem Äquator und
Nordpol liegen. Schaut man sich nun die Bahn an, die man hinter sich
gezogen hat, so wird man feststellen, dass es die Bahn keine Gerade,
sondern eine nach rechts gekrümmte Kurve aufweist. Betrachtet man
sich die gleiche Bewegung Richtung Südpol, dann stellt man fest, dass
man auch hier den anderen Erdpunkten voraus eilt. Die Bahnkurve, die
sich hier ergibt, ist eine nach links gebogene Linie.
Als einfaches Beispiel kann man sich auch eine sich schnell drehende
Scheibe (stellvertretend für die rotierende Erde) vorstellen. Wird
nun eine Kugel (stellvertretend für eine Bewegung) in die Mitte der
Scheibe gesetzt und nachfolgend durch einen kurzen Anstoß mit einem
Impuls nach außen versehen, so wird die Kugel je nach Drehrichtung
der Scheibe (entsprechend Nord- und Südhalbkugel) eine gebogene Bahn
aufweisen.
Für Meteorologen ist die Corioliskraft deshalb so wichtig, weil sie
die großräumigen Strömungsverhältnisse sowie die Drehbewegung von
Hoch- und Tiefdrucksystemen nachhaltig bestimmt. Durch sie wehen die
Passatwinde aus nordöstlichen (Nordhalbkugel) bzw. südöstlichen
(Südhalbkugel) Richtungen zum Äquator. Gleichermaßen ist sie für die
Westwinddrift zwischen dem 30 und 60 Breitengrad verantwortlich. In
diese eingebunden entwickeln sich schließlich Hoch- und
Tiefdruckgebiete, die mit der Westströmung ostwärts geführt werden.
Dabei ist die Drehbewegung der Systeme ebenfalls von der
Corioliskraft beeinflusst. Bei Tiefdruckgebieten beispielsweise sorgt
die Corioliskraft zusammen mit der Druckgradientkraft (Kraft zum
tiefen Druck aufgrund der Druckunterschiede) dafür, dass sich die
Luft auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn (Südhalbkugel im
Uhrzeigersinn) um das Tief herum bewegt. Berücksichtigt man
zusätzlich die Reibungskraft, die durch den Untergrund induziert
wird, so bekommt die Luft eine Komponente zum tiefen Druck, sodass
sie nach innen in das Tiefdruckzentrum strömt und dort aufsteigt.
Und wo wir gerade bei Wirbeln sind: Sicherlich haben Sie schon Mal
beobachtet, wie das Wasser im Waschbecken beim Ziehen des Stöpsels in
den Abfluss hinein wirbelt. Ist die Drehrichtung dieser Wirbel auch
durch die Corioliskraft zu erklären?
Die Antwort lautet: Jein! Die Corioliskraft wirkt sich merklich nur
auf großräumige Bewegungen aus. Der Durchmesser eines Wasserwirbels
im Waschbecken ist zu gering, dass die Corioliskraft einen
wesentlichen Einfluss auf die Drehrichtung ausüben könnte. In einem
"herkömmlichen" Waschbecken ist die Drehrichtung des Wirbels also
zufällig. Hier sind kleinste Störeffekte wie Unebenheiten am Boden
oder minimale Fließbewegungen stärker als die Corioliskraft. Selbst
bei Tornados ist die Drehrichtung nicht auf die Corioliskraft
zurückzuführen, da sie zu kleinräumig sind.
Möchten Sie einen Wirbel im Waschbecken erzeugen, der auf die
Corioliskraft basiert, so benötigen Sie ein "ideales" Waschbecken wie
das des Physikers Asher Shapiro. Mit dem "idealen" Waschbecken gelang
es Asher Shapiro 1962 im Labor tatsächlich, jegliche Störeffekte zu
vermeiden. Hier hängt die Drehrichtung der Waschbeckenwirbel wirklich
von der Hemisphäre ab.
© Deutscher Wetterdienst
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