15. Juli 2015 | Dipl.-Met. Helge Tuschy
Der Kapdoktor, der das Tafeltuch ausbreitet
Man mag es kaum glauben, aber auch wir Meteorologen streben hin und wieder einen Urlaub an, wo man am liebsten mal nichts vom Wetter wissen oder hören, sondern einfach nur einmal abschalten möchte.
Doch hört sich dies viel leichter an, als es in Realität der Fall ist, denn egal wo man hinkommt, das Wetter ist häufig das Thema und letztendlich überall präsent. Aber das Gute ist, dass für die meisten von uns Meteorologen der Beruf auch gleichzeitig ihr Hobby ist und somit das Erleben und Erklären diverser, bis dahin weniger bekannter Wetterphänomene, sehr spannend sein kann. So geschehen bei meinem letzten Urlaub in diesem Jahr.
Was Du in und um Kapstadt nicht verpassen solltest http://t.co/spqylUepMf #kapstadt #südafrika pic.twitter.com/HzC1RfINdQ
— Mad B (@puriyunterwegs) 8. Juli 2015
Der Süden Afrikas war das Ziel und natürlich lag Kapstadt ganz oben
auf der persönlichen Wunschliste. Diese, an der Südspitze Südafrikas
gelegene Stadt, eingebettet in eine Natur voller teils schroffer
Kontraste und unvergesslicher Schönheiten, verzückt Ihre Besucher von
Beginn an. Auf die teils gravierenden sozioökonomischen Unterschiede
und Probleme soll im Zuge dieses meteorologischen Berichtes jedoch
nicht näher eingegangen werden. Kapstadt, die zweitgrößte Stadt
Südafrikas mit deutlich mehr als 3.7 Millionen Einwohnern, ist am
Fuße einer sehr einprägenden geologischen Begebenheit gelegen, dem
Tafelberg. Dies ist ein an dessen höchster Stelle knapp über 1080 m
hohes und mit mehr als 430 Millionen Jahren äußerst altes
Felsenplateau, von wo aus man in sauberer und trockener Luft eine
unvergleichliche Aussicht auf die Stadt und die False Bay
(Südatlantischer Ozean) hat. "Klare Luft" ist bereits ein gutes
Stichwort, denn nicht selten wird der gewaltige Gesteinsgigant in ein
für den Betrachter wie Watte ausschauendes "Wolkentuch" gehüllt.
Dieses lässt die teils zerklüfteten Ränder der Berge verschwinden und
wird von den Bewohnern Kapstadts liebevoll als das "Tafeltuch"
bezeichnet. Um jenes ranken sich natürlich, wie soll es auch anders
sein, zahlreiche Mythen und interessante Geschichten. Eine, die mir
in einer kleinen Bar in einem Vorort von Kapstadt übermittelt wurde,
besagt, dass ein Seemann und ein Fremder eine Wette abschlossen, wer
denn der stärkere Raucher sei. Die Wette gewann der eifrige Seemann
deutlich. Derweilen stellte sich der Fremde nicht nur als ein
schlechter Verlierer, sondern gar als Teufel heraus. Vor lauter Wut
ob der Niederlage sperrte er den Seemann in den Tafelberg ein, der
von da an im Berg weiterrauchen musste und somit wiederholt das
"Tafeltuch" erzeugte. Zugegeben, manchmal können solche Geschichten
schöner und einprägender sein als eine rein wissenschaftliche
Erklärung, aber urteilen Sie in diesem Fall doch einfach selbst.
The Cape Doctor is whipping up a mother of a storm #traceyshawphotography #lifestylephotographer #stormywinter pic.twitter.com/0LsgWUgMnA
— Tracey Shaw (@trix_1989) 7. Juli 2015
Meine Urlaubsreise habe ich Mitte/Ende April durchgeführt und somit
zu einer Zeit, wenn ein für diese Gegend charakteristisches
Wetterphänomen noch aktiv ist: der sogenannte "Kapdoktor".
Nüchtern betrachtet handelt es sich dabei um einen Passatwind,
welcher durch ein beständiges und kräftiges Hochdruckgebiet im
Südatlantik erzeugt und gelenkt wird. Daher auch sein Zweitname:
"South Easter" (z.dt. ein beständiger aus Südost wehender Wind).
Seine Stärke verdankt er variablen Luftdruckgegensätzen zwischen eben
diesem Hochdruckgebiet und tiefem Luftdruck (z.B. durch die Bildung
eines Hitzetiefs dank starker Erwärmung) im Landesinneren von
Südafrika. Oft weht er den Besuchern als laues Lüftchen um die Ohren
und trocknet die mit Sicherheit zahlreich auftretenden Schweißperlen
falsch gekleideter Touristen. Er sorgt aber auch für eine
Durchmischung der Luft und reinigt diese. Daher eben auch der
liebevolle Name: "Kapdoktor".
Doch es gibt auch Tage, da braust der Wind mit Sturm-, teils auch
Orkanstärke (Spitzen von über 150 km/h !) durch die Straßen der Stadt
und sorgt für entsprechende Schäden. Auch ich konnte beide Seiten des
Windes während meines Aufenthaltes erleben: sowohl die sanfte als
auch die aufbrausende.
Doch nun aber zurück zum Tafeltuch und der Frage, wie genau es sich
ausbreitet. Stellen Sie sich diesen mächtigen und hochreichenden
Luftstrom aus südöstlicher Richtung vor, welcher mit über dem Ozean
aufgenommener Feuchtigkeit beladen auf den Tafelberg trifft und durch
die Orografie plötzlich zum Aufsteigen gezwungen wird. Wenn nun diese
Luftmasse bis über 1000 m aufsteigen kann (also über Kammniveau),
dort aber an eine sperrige Luftschicht mit höherer Temperatur stößt,
die Inversion genannt wird, bilden sich beim Überströmen des
Bergmassivs Wolken, das sogenannte "Tafeltuch". Rückseitig des Berges
(im Lee), trocknet die Luftmasse beim Absinken wieder ab und in
Kapstadt scheint die Sonne. Die Bewohner des Alpenvorland werden
sicherlich gleich hellhörig, denn nichts anderes kennen die Menschen
dort bei Ihren alpinen Föhnlagen. Die uns bekannte "Föhnmauer" über
dem Alpenhauptkamm entspricht nun dem "Tafeltuch" auf dem Tafelberg.
Sinkt die Sperrschicht (Inversion) nun unter das Kammniveau ab, kann
die Luft nicht mehr über den Tafelberg strömen und die feuchte Luft
gelangt nicht mehr auf das Plateau des Tafelbergs. Das Tafeltuch
verschwindet. Dafür muss sich die Luft nun um das Massiv winden und
sorgt in solchen Fällen für teils enorme Windgeschwindigkeiten an der
Kap-Spitze. Sie sehen also, was so ein einzelnes hinderliches
Gebirgsmassiv für Auswirkungen auf das lokale Wetter haben kann und
dabei wurden der Übersicht halber noch nicht mal alle möglichen
Auswirkungen beschrieben.
Ich konnte die Bildung des Tafeltuchs während meines Urlaubs mehrmals
erleben, wobei ein Bild sowohl vom Tafeltuch (Nr. 1) als auch von der
Inversion (Nr. 2) nebenstehend zu sehen ist.
Beeindruckend ist nicht nur das Aussehen der Wolke, sondern auch die
Geschwindigkeit, mit der die Luftmasse im Lee vom Tafelberg
herunterfällt und wie das "Tuch" dabei regelrecht
zerrissen/abgetrocknet wird. Es sollte daher nicht verwundern, dass
so ein Vorgang auch bei einem sich im Urlaub befindlichen
Meteorologen für Staunen und Faszination sorgt!
© Deutscher Wetterdienst
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