1927 war ein wahrlich ereignisreiches Jahr: Günter Grass und Benedikt XVI erblicken das Licht der Welt, Charles Lindbergh wird in Paris von Menschenmassen bejubelt, nachdem ihm der erste Nonstop-Transatlantikflug im Alleingang geglückt ist, die Urknall-These wird vorgestellt, der Deutsche Reichstag beschließt die Einführung des Arbeitslosengeldes und "last, but not least" wird der "Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften" gegründet, den Supermarktkunden wohl besser bekannt als REWE.
Genau heute vor 89 Jahren, also am 8.7.1927 ereignet sich hingegen ein überhaupt nicht feier-, aber denkwürdiges Geschehnis im Osterzgebirge: Damals startet der Tag ruhig, neben ein paar harmlosen Wölkchen strahlt die Sonne vom Himmel. Doch schon bald werden die Wolken mächtiger und gegen Mittag grummelt es am Himmel. Von da an nimmt die Katastrophe ihren Lauf: Heftige Gewitter mit extrem starken Niederschlägen ziehen aus Böhmen über den Erzgebirgskamm heran und verursachen innerhalb kürzester Zeit ein rasantes Ansteigen der Flusspegel. Die Gottleuba (Nebenfluss der Elbe) verbreitert sich von ihren sonst üblichen drei Metern auf etwa 100 Meter. Auch die Müglitz, normalerweise ebenfalls ein ruhiges Flüsschen, wird zum reißenden Strom (mit einem Abfluss von 330 m³/s statt den üblichen 40 m³/s). Wolkenbrüche sorgen in weniger als einer halben Stunde für 113 Liter Regen pro Quadratmeter, innerhalb weniger Stunden fallen 226 l/qm. Weitere Daten sind nicht bekannt, da mehrere Messstationen den Regenmassen zum Opfer fielen. Wer die Hoffnung hatte, dass sich die Unwetter nachts abschwächen würden, hatte weit gefehlt: Sie setzten sich regelrecht am Erzgebirge fest und hielten bis zum nächsten Tag an.
Die traurige Bilanz: Etwa 160 Tote, Schäden über 100 Mio. Reichsmark (ca. 330 Mio. Euro) und Verluste, die sich wohl nicht in Zahlen ausdrucken lassen... Da stellt sich zurecht die Frage: Wie kann es zu solchen extremen Wetterereignissen kommen und warum ist häufig Sachsen vom Hochwasser betroffen?
Beim Hochwasser vom 8.7.1927 lag ein Tiefdruckgebiet über Mitteleuropa, das beständig feuchte Mittelmeerluft nach Deutschland geführt hat und das (ähnlich wie Ende Mai/Anfang Juni diesen Jahres) zu den schweren Unwettern und Überflutungen führte. Aber auch eine andere Wetterlage ist zu solchen Wetterkatastrophen in der Lage (Jahrhunderthochwasser 2002): Die sogenannte Vb (sprich: "fünf b")-Wetterlage. Dabei bildet sich im Golf von Genua ein Tiefdruckgebiet, wenn kalte Luftmassen über Westeuropa in den warmen Mittelmeerraum vordringen. Dieses Tief wird dann unter Intensivierung mit der Höhenströmung über Oberitalien hinweg in einem Bogen um die Alpenostseite herum weiter nach Norden in Richtung Tschechien und Polen geführt.
Auf der Vorderseite des Vb-Tiefs wird warme und feuchte Mittelmeerluft angesaugt und um das Tief herum geführt. Diese Mittelmeerluft gleitet dann auf die kalte Polarluft auf der Tiefrückseite auf. An der Grenze dieser beiden Luftmassen kommt es oft zur Bildung stärkerer Niederschläge. Da Sachsen bei dieser Wetterlage meist an die Westflanke des Tiefs gerät, werden die Luftmassen von Norden gegen das Erzgebirge gedrückt. Dieser "Staueffekt" und die abnehmende Zuggeschwindigkeit bis zur Stationarität des Tiefs führen dann dort oft zu langanhaltenden, kräftigen Regenfällen und kräftigen Gewittern.
Glücklicherweise bestimmt am diesjährigen 8. Juli eine West-Wetterlage unser Wetter, sodass der heutige Tag wohl nicht in die "Wetter-Annalen" eingehen wird.