Satellitenbilder eröffnen uns immer wieder faszinierende Blicke auf interessante und mitunter geheimnisvolle Wolkenformationen. Fast schon abstrakt wirkende Wolkenkunst konnte am Nachmittag des vergangenen Donnerstags (Allerheiligen) über Deutschland bewundert werden (siehe Abbildungen). Zum einen erkennt man über Westdeutschland ein gut strukturiertes und kompaktes Wolkengebiet, das mit etwas Fantasie den Anschein eines Ölgemäldes hat. Dieses Wolkengebiet zog im Laufe des Tages von Frankreich kommend über den Westen Deutschlands nach Norden und hatte sogar leichten Regen im Gepäck. Auslöser war eine schwache Tiefdruckstörung, die etwas Hebung erzeugte und somit zur Bildung der Regenwolken führte. Über dem Osten Deutschlands und dem östlichen Mitteleuropa wirkten die Wolken eher wie schwungvolle Pinselstriche aus Wasserfarben. Hierbei handelte es sich um relativ dichte hohe Wolkenfelder (Eiswolken, sogenannter Cirrostratus), die sich durch starke Höhenwinde zu streifenförmigen und federartigen Strukturen formten. Staub aus der Sahara regte zudem die Bildung dieser Eiswolken an.
Die wohl markanteste Wolkenformation war allerdings über Süddeutschland zu finden. Neben Ölfarbe und Pinsel kam hier scheinbar noch die Schere zum Einsatz. Im Satellitenbild sah man eine wie mit dem Lineal gezogene und förmlich mit der Schere abgeschnittene Wolkenkante, die sich von der Mitte Deutschlands gen Süden erstreckte. Während sich weite Teile Bayerns unter dem dichten Cirrostratus befanden, schien auf der Westseite über Baden Württemberg und Schwaben die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Diese Wolkenkante zog am Nachmittag und Abend von West nach Ost über Deutschland und konnte sich mit der Ostverlagerung weiter nordwärts ausdehnen. Beim Überqueren lockerte die Bewölkung schlagartig auf und man konnte selbst am Boden diese scharfe Wolkenkante beobachten (siehe Fotos vom Hohenpeißenberg). Blickt man etwas über den Tellerrand hinaus, kann die scharfe Linie bis in den Süden von Algerien verfolgt werden, wo sie schließlich langsam an Kontur verlor.
Die genaue meteorologische Erklärung dieser Wolkenkante ist gar nicht so einfach. Ursache dafür ist das Eindringen trockener Stratosphärenluft in die obere Troposphäre, eine sogenannte "Dry Intrusion" (deutsch: trockenes Einmischen). Die Troposphäre ist die unterste Atmosphärenschicht, in der salopp gesprochen "das Wetter stattfindet", in der also Wolken und Regen entstehen. Sie erreicht in unseren Breiten im Durchschnitt eine Mächtigkeit von etwa 11 Kilometern. Während die Troposphäre fast den gesamten Wasserdampf der Atmosphäre enthält, ist die Luft in der sich darüber befindlichen Stratosphäre außerordentlich trocken. Troposphäre und Stratosphäre werden durch die Tropopause (Obergrenze der Troposphäre) voneinander getrennt. Diese Schicht wirkt wie ein Deckel, der normalerweise verhindert, dass sich Stratosphären- und Troposphärenluft vermischen. Es gibt allerdings gewisse Stellen in der Tropopause, an der es der Stratosphärenluft gelingt, in die Troposphäre einzudringen. Eine dieser befindet sich auf der linken Seite des Jetstreams (s.a. Link), einem schmalen bandartigen Starkwindfeld unterhalb der Tropopause. Dieses Starkwindband formiert sich an der Polarfront, die (sub)polare Kaltluft von gemäßigter oder subtropischer Warmluft trennt. Die Polarfront und damit auch der dazugehörige Jetstream verlaufen in wellenartigen Strukturen um die Nord- und Südhalbkugel, können sich aber auch in mehrere Äste aufspalten und sie sind für den ständigen Wetterwechsel in unseren Breiten verantwortlich.
Nach diesem Exkurs kommen wir nun zurück zur Wolkenkante. Am vergangenen Donnerstag konnte Polarluft über Westeuropa bis nach Nordwestafrika vordringen. Die Osthälfte Deutschlands lag zu dieser Zeit auf der Ostseite der Polarluft, wo sich an der Polarfront in der Höhe ein sehr schmaler, aber intensiver Jetstream ausbildete. Genau im Bereich der scharfen Wolkenkante befand sich somit die oben erwähnte Öffnung der Tropopause, an der eine intensive "Dry Intrusion" stattfand. Die sehr trockene Stratosphärenluft konnte in die Troposphäre eindringen und sorgte für ein schlagartiges Sublimieren der Eiskristalle (Übergang vom festen in den gasförmigen Zustand) und die Wolkedecke löste sich auf. Die "Dry Intrusion" ist gut an zwei zeitgleichen Radiosondenaufstiegen zu erkennen (siehe Abbildung). Während in München (unter Wolken) die gesamte Troposphäre bis in eine Höhe von etwa 12 Kilometern feucht war (Taupunktkurve als Feuchtemaß nah an Temperaturkurve), ist beim Stuttgarter Aufstieg (wolkenloser Himmel) deutlich das Eindringen der trockenen Luft bis in eine Höhe von etwa 6 Kilometern (große Differenz zwischen Temperatur und Taupunkt) zu sehen. Dass die Wolkenkante über Süddeutschland allerdings derart schnurgerade verlief, war nur eine Laune der Natur.