"Außertropischer Hurrikan", "Arktische Bombe", "Polartief" - dies sind nur einige Begriffe für ein Wetterphänomen, das wiederholt in arktischen, wie auch antarktischen Gebieten beobachtet wird. Im heutigen Thema des Tages beschränken wir uns dabei auf den arktischen Bereich zwischen Grönland und Norwegen, der die Grönlandsee und das Europäische Nordmeer mit Spitzbergen umfasst. Ein Polartief wird laut Rasmussen und Turner (2003) definiert als ein Tiefdruckgebiet mit einem Durchmesser von meist weniger als 1000 km und mittleren Bodenwinden von mindestens 55 km/h (Bft 7). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese "Polartiefs" nichts mit dem sogenannten "Polarwirbel" gemein haben. Während des Winterhalbjahres erstreckt sich der Polarwirbel von der mittleren und oberen Troposphäre bis in die Stratosphäre und beeinflusst das Wetter langfristig und großräumig. Doch zurück zu den Polartiefs.
Bereits Mitte der 1950er Jahre gab es erste wissenschaftliche Abhandlungen über Polartiefs, die z.B. von Dannevig (1954) als "Labilitätstiefs" bezeichnet wurden. Er erkannte, dass diese Tiefdruckwirbel häufig dann entstehen, wenn sehr kalte Luftmassen von Norden über die eisfreie und somit (relativ gesehen) wärmere Meeresoberfläche strömen (z.B: über die Grönlandsee). Das Wasser erwärmt dabei nur die unteren Luftschichten. Die daraus resultierende Temperaturabnahme mit der Höhe wird als "labil" bezeichnet (siehe DWD Lexikon unter "Labile Schichtung"). Daher der Begriff "Labilitätstiefs". Zu dieser Zeit überraschten diese kleinräumigen und teils sehr kräftigen Tiefdruckgebiete wiederholt Seefahrer, da es ja u.a. noch keine Satelliten zur Überwachung auf hoher See gab. Auch an den Küsten konnte sich das Wetter mit Durchzug eines Polartiefs in Form eines ausgewachsenen Schneesturms schlagartig verschlechtern. Während der 1960er Jahre verbesserten sich jedoch die Beobachtungsmöglichkeiten mit den polarumlaufenden Wettersatelliten schlagartig. Sie umkreisen die Erde in rund 800 bis 1000 km Höhe und decken auch die datenarmen Polargebiete ab. Durch diese war es nun möglich, die Meeresgebiete meteorologisch engmaschig zu überwachen. Dadurch kann die Entwicklung und Zugbahn der Wirbel gut verfolgt werden. Auch die numerischen Wettermodelle verbesserten sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte immer weiter. Fielen früher die kleinräumigen Tiefdruckgebiete durch die Maschen eines Wettermodells, so arbeitet heutzutage z.B. das Norwegische Meteorologische Institut mit "AROME-Arctic / MEPS", einem Wettermodell mit einer horizontalen Modellauflösung von 2.5 km.
Die Entstehung und Verstärkung von Polartiefs ist von mehreren Ursachen abhängig, die Gegenstand laufender Forschung sind. Die wichtigsten Gründe für die Entstehung werden an Hand eines Wetterfalls von Mitte Januar 2019 gezeigt, als gleich mehrere Polartiefs zwischen Grönland und Norwegen gesichtet wurden.
In Bild I wird als Flächendarstellung die Temperaturverteilung in 850 hPa (rund 1.5 km über Meeresniveau) sowie als Zahl die vorhergesagte Wasseroberflächentemperatur abgebildet. Von Norden strömt dabei arktische Kaltluft in Richtung Norwegen und überstreicht nach Süden zu die immer wärmer werdende Meeresoberfläche. Durch diese vertikalen Temperaturunterschiede ist eine Labilisierung der Luftmasse gewährleistet und es können sich hochreichende Schauer- und Gewitterwolken bilden. Sobald sich diese um ein Polartief bilden, kommt es durch die freigesetzte latente Wärmeenergie zu einer Intensivierung des Wirbels. Näheres finden Sie im DWD Lexikon unter "Latente Wärmeenergie".
Des Weiteren bilden sich solche Polartiefs gerne entlang sogenannter "Konvergenzzonen". Dies sind Bereiche, in denen sich der Wind mit der Richtung ändert (zusammenströmen) und auch unterschiedliche Windgeschwindigkeiten aufweisen kann. In Bild II ist eine solche Konvergenz weiß eingezeichnet. Westlich davon weht kräftiger Nord- bis Nordostwind mit stürmischen Böen von mehr als 70 km/h. Östlich davon tritt nur schwacher Wind aus östlicher Richtung auf. Meteorologische Gründe, wieso sich die Luftmassen verwirbeln, gibt es viele, sie würden jedoch die Beitragslänge sprengen.
Zuletzt sollten nicht nur vertikale, sondern auch horizontale Temperaturkontraste vorhanden sein, wie in Bild III ersichtlich. Während die arktische Kaltluft von unter -20 Grad vom Grönländischen Eisschild und dem Meereis nach Süden strömt, ist die Luftmasse über dem Ozean deutlich "milder". Die sich entwickelnden Polartiefs beziehen ihre Energie nun teilweise aus diesen Temperaturkontrasten, teilweise aber auch aus der die Tiefs begleitenden Konvektion. In seltenen Fällen wird auch ein "Auge" ausgebildet, das auf Satellitenbildern Ähnlichkeiten zu tropischen Wirbelstürmen hervorruft. Auch auf Bild III ist eine solche Augenbildung ansatzweise zu erkennen, während das Polartief entlang der Meereiskante nach Südwesten driftet. Sobald die Wirbel die wärmende Meeresoberfläche verlassen, schwächen sie sich über Land zügig ab.
Die jährliche Anzahl an Polartiefs im Gebiet zwischen Grönland und Norwegen schwankt in Studien mit 15 bis 60 Ereignissen stark und hängt vom jeweiligen Schwellenwert ab, ab welcher Windgeschwindigkeit ein solches klassifiziert wird. Obwohl sie das ganze Jahr über auftreten können, liegt die Hauptsaison im Winter und Frühjahr. Vielleicht ergibt sich ja daher in den kommenden Wochen erneut die Möglichkeit ein Polartief auf Satellitenbildern zu beobachten?!