Am 17. Dezember 2019 haben wir bereits über die MOSAiC-Expedition ("Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate", "Multidisziplinäres Driftobservatorium zur Untersuchung des Arktisklimas") berichtet. Die umfassenden Messungen dieser einjährigen Messkampagne in der zentralen Arktis sollen einen Durchbruch im Verständnis des arktischen Klimasystems bringen. Ziel ist es, das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Meereis und Ozeanströmungen sowie die regionalen und globalen Folgen des arktischen Klimawandels besser zu verstehen. Dies wird schlussendlich zu genaueren Wetter- und Klimaprognosen führen.
Die MOSAiC-Expedition macht sich die sogenannte Eisdrift zu Nutze. Ein Großteil des arktischen Meereises ist nämlich kein starres System, sondern schwimmt als Treibeis auf dem Ozean (im Gegensatz zum Festeis, das an Küsten oder dem Meeresgrund verankert ist). Das Eis ist also ständig in Bewegung, wobei die Geschwindigkeit der Eisdrift vom Wind und der Lufttemperatur in der Eisregion, der Meeresströmung und der Kompaktheit des Eises abhängt. Die Driftgeschwindigkeit beträgt etwa 1 bis 2 % der vorherrschenden Windgeschwindigkeit, was durchschnittlich 0,25 km/h (bei maximaler Eisausdehnung im April) bis 0,5 km/h (bei minimaler Ausdehnung im Oktober) entspricht. Somit driftet die Polarstern also allein durch die Kraft der Natur täglich mit der Eisscholle mehrere Kilometer durch die Arktis.
In der Arktis existiert zum einen der "Beaufortwirbel", in dem sich das Eis nördlich von Grönland, Kanada und Alaska im Uhrzeigersinn dreht (siehe Abbildung). Als zweite Hauptströmung gibt es die für die MOSAiC-Expedition entscheidende "Transpolardrift". Sie führt von Sibirien nach Grönland und transportiert gewaltige Eismengen durch die Framstraße an die Ostküste Grönlands. Entlang der grönländischen Küste macht sich das Eis weiter auf den Weg nach Süden, bis es im wärmeren Wasser des Nordatlantiks schmilzt.
Die Transpolardrift ist die einzige Möglichkeit, mit dem Schiff selbst im Winter in den direkten Polbereich nördlich des 87. Breitengrads zu gelangen, wo das Eis zu dieser Zeit selbst für einen Eisbrecher zu dick wäre. Vorbild für die MOSAiC-Expedition ist Fridtjof Nansen, der bereits vor 125 Jahren als erster Mensch mit dem hölzernen Forschungsschiff "Fram" die Zentralarktis im Winter erreicht und damit erstmalig die Eisdrift gezeigt hat. Nun wird die Expedition mit dem modernen Forschungseisbrecher Polarstern wiederholt.
Zusammen mit dem russischen Eisbrecher "Akademik Fedorov" ist die Polarstern am 20. September vom Hafen Tromso Richtung Arktis aufgebrochen. Im zu dieser Jahreszeit noch dünnen sibirischen Meereis musste man zunächst eine Eisscholle finden, an der die Polarstern wenige Wochen später andocken konnte. Sie sollte einen Durchmesser von mehreren Kilometern haben und mindestens 1,5 m dick sein, damit sie stabil und groß genug ist, um dort das Forschungscamp errichten zu können. Nach dem Andocken wurden die Maschinen in Leerlauf versetzt und man begann mit dem Aufbau der verschiedenen Forschungsstationen. Seit diesem Zeitpunkt bestimmt die Natur, also die Transpolardrift, die weitere Reise durch die Zentralarktis. Dabei wird das Eis um das Forschungscamp immer dicker. Nur im Falle, dass sich die Eisscholle dem Beaufortwirbel zu sehr nähern sollte, könnte die Polarstern auch gegensteuern, um zu verhindern, dass sie von diesem eingefangen wird. Die geplante Route Richtung Framstraße ist somit also sichergestellt. Aktuell befinden sich die Forscher bei etwa N86°40' E115°45' (siehe Abbildung). Während der Phase von Mitte Februar bis Mitte Juni erreicht das Meereis eine Mächtigkeit, die einen Vorstoß von Versorgungseisbrechern nicht mehr erlaubt, sodass das Camp dann nur noch aus der Luft zu erreichen sein wird. Im Herbst 2020 wird die Polarstern schließlich zur Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen gelangen, wo sie das Meereis wieder verlassen und im Oktober in Bremerhaven einlaufen wird.
In letzten Teil dieser Serie erfahren Sie demnächst mehr über die Größenordnung der MOSAiC-Expedition und welcher immense logistische und personelle Aufwand dazu notwendig ist.