In den vorangegangenen Themen des Tages vom 14.01., 21.01., 22.01. und dem gestrigen 27.01.2020 wurden bereits generelle Gefahren bei Lawinen, die Prozesse der Schneeumwandlung innerhalb der Schneedecke sowie die Lawinenarten der Schneebrett- und Lockerschneelawinen behandelt. Im heutigen Thema darf die noch fehlende Gleitschneelawine im Mittelpunkt stehen.
Gleitschneelawinen gehen in der Regel spontan ab und werden nicht von Wintersportlern ausgelöst. Im Vergleich zu den anderen Lawinenarten stellen sie nur selten eine Gefährdung für den Wintersportler dar. Dennoch können Gleitschneelawinen in schneereichen Wintern ein großes Problem für Verkehrswege und Infrastruktur werden.
So war beispielsweise der Winter 2011/12 im Allgäu von einem anhaltenden Gleitschneeproblem geprägt, als nach einem warmen Spätherbst die weitgehend aperen (schneefreien) Steilwiesen massiv eingeschneit wurden. Das dicke Schneepaket isolierte den relativ warmen Boden. Als dieses zusätzlich durchfeuchtet wurde, bildeten sich riesige "Fischmäuler" (Die Bezeichnung leitet sich ab vom sich öffnenden Maul eines Fisches: siehe Bild). Wenn sich solche "Gleitschneemäuler" immer mehr öffnen, können daraus Gleitschneelawinen entstehen. Sie reißen linienartig an, und die gesamte Schneedecke rutscht ab.
Die Ursache von Gleitschneelawinen ist das Gleiten des Schnees auf dem Untergrund. Im Gegensatz zum Schneebrett entstehen sie nicht durch einen Bruch in der Schneedecke, sondern durch großflächigen Reibungsverlust zwischen Schneedecke und Unterlage aufgrund von Wasser. Je glatter der Untergrund, desto eher können Gleitschneelawinen im Steilgelände auftreten - typischerweise auf steilen Wiesenhängen oder glattem (felsigem) Untergrund. Je steiler der Hang, desto eher gleitet der Schnee ab.
Am Anfang führt schnelles Schneegleiten (einige Millimeter bis mehrere Zentimeter pro Tag) zu einem hangparallelen Zugriss durch die gesamte Schneedecke: Das "Fischmaul" entsteht. Wenn die Gleitbewegung der Schneetafel weiter zunimmt, geht sie als Gleitschneelawine ab. Dabei hinterlässt diese Lawine an der Abrutschstelle einen komplett schneelosen Hang.
Gleitschneelawinen lassen sich in "kalte" und "warme" Ereignisse einteilen. "Kalte" Gleitschneelawinen gehen vor allem im Hochwinter ab. Dabei ist die Schneedecke aufgrund der meist niedrigen Temperatur im Hochwinter überall kalt und trocken. Der Boden hat jedoch oft eine höhere Temperatur und schmilzt die untere Schicht an. Dadurch entsteht ein Feuchtigkeitsfilm am Untergrund der Schneedecke, wodurch die Reibung verringert wird und ein Abrutschen ausgelöst werden kann.
Zu einer "warmen" Gleitschneelawine kommt es, wenn die Schneedecke vorwiegend in den Frühjahresmonaten durch die steigenden Temperaturen, die Sonneneinstrahlung oder durch zusätzliche Regenfälle von oben her durchfeuchtet wird. Besonders in der zweiten Tageshälfte herrscht im Frühjahr Tauwetter und das Schmelzwasser sickert bis zum Untergrund der Schneedecke. Dadurch bildet sich wieder zwischen der glatten Erdoberfläche und der Schneedecke ein Wasserfilm und die Schneelast kann sich lösen.
Den Abgangszeitpunkt von Gleitschneelawinen vorherzusagen, ist kaum möglich, da sie zu jeder Tages- und Nachtzeit abgehen können und nicht nur bei hohen Temperaturen. Um das Risiko für den Wintersportler klein zu halten, bleibt also nur eins: Zonen mit "Fischmäulern" meiden oder sich zumindest nicht länger als unbedingt nötig unter ihnen aufhalten.
Der Lawinenwarndienst Bayern stuft die Lawinengefahr derzeit oberhalb der Waldgrenze als "erheblich" ein. Darunter sowie in den Bayerischen Voralpen und den Chiemgauer Alpen wird sie "mäßig" eingeschätzt. Durch den Neuschneezuwachs, der mit Sturm einherging, rückt die Auslösung von Schneebrettlawinen bei Triebschneeansammlungen in den Fokus. Auch größere selbstauslösende Lockerschneelawinen an Steilhängen sind möglich. Auf zuvor ausgeaperten glatten Wiesenhängen kann die frische Schneedecke auf dem warmen Boden abgleiten. Der Lawinenwarndienst schließt im Allgäu auch größere Gleitschneelawinen nicht ganz aus.