Sind Sie ein Hobbymeteorologe oder begeistern sich einfach für die Vielseitigkeit des Wetters? Dann haben Sie vielleicht schon einmal vom "Vb-Tief" (sprich: Fünf-B) oder der "Vb-Wetterlage" gehört. Falls nicht, dann erfahren Sie heute und in einem weiteren Tagesthema, was es damit auf sich hat und welch brisante Wettererscheinungen und Auswirkungen diese besondere Wetterlage für Mitteleuropa nach sich ziehen kann. Doch dazu später mehr.
Zunächst werfen wir einen Blick auf die Geschichte der Großwetterlagen. Auch heute noch werden vom Deutschen Wetterdienst die aktuellen Druckverteilungen und die daraus resultierenden Luftströmungen sogenannten Großwetterlagen zugeordnet. Diese sind definiert durch die mittlere Luftdruckverteilung in Meereshöhe und der mittleren Troposphäre (ca. 5 km über Meeresniveau) in einem großen Gebiet (z.B. Europa plus Teile des Nordatlantiks) über eine Dauer von mehreren Tagen. Sie bestimmen je nach Jahreszeit den wesentlichen Charakter eines Witterungsabschnittes. Die Einteilung geht auf den "Katalog der Großwetterlagen Europas" von Paul Hess und Helmut Brezowsky aus dem Jahre 1952 zurück, in dem 29 Großwetterlagen definiert wurden. Deren Name leitet sich entweder von der Lage der steuernden Druckgebilde ab (z.B. "Hoch Britische Inseln") oder von den vorherrschenden Strömungsverhältnissen inklusive der Information, ob eher hoher (antizyklonal) oder tiefer Luftdruck (zyklonal) wetterbestimmend ist. Beispielsweise gelangt bei der Wetterlage "Westlage zyklonal" die Luft aus Westen zu uns und der Einfluss der Tiefs im Norden ist stärker als der des Hochs im Süden. Wechselhaftes und teils windiges Wetter sind die Folge.
Bereits im Jahre 1891 - noch lange vor Hess und Brezowsky - machte der deutsche Meteorologe Wilhelm Jacob van Bebber die Beobachtung, dass Tiefdruckgebiete über dem Nordatlantik und Europa typische wiederkehrende Zugstraßen verfolgen. Er nummerierte diese mit den römischen Zahlen I bis V inklusive Untergruppen (a-d), siehe Abbildung. Heutzutage ist in der Meteorologie hauptsächlich noch die Vb-Wetterlage geläufig. Das liegt an den oft heftigen Wettererscheinungen, die auf diese besondere Tief-Zugbahn zurückzuführen sind. Zudem wird das Vb-Tief durch klassische Großwetterlagen nur unzureichend beschrieben.
Doch wie kommt es zum Vb-Tief? Voraussetzung für seine Entstehung ist ein in höheren Atmosphärenschichten ausgeprägter Trog (siehe Thema des Tages vom 5. September) über West- und Mitteleuropa, der weit nach Süden bis ins westliche und zentrale Mittelmeer oder sogar bis nach Nordafrika vorstößt. An seiner Westseite gelangt Polarluft in den Mittelmeerraum. Dieser Kaltluftvorstoß sorgt in Verbindung mit dem warmen Mittelmeer am Boden für die Entstehung eines Tiefs über dem Golf von Genua, Oberitalien oder der Adria. Je nach Höhenströmung verlagert sich dieses Tief entweder nach Südosten (Vd-Zugbahn), über den Balkan ostwärts (Vc-Zugbahn) oder nach Nordosten (Vb-Zugbahn). Vor allem ein über der Adria entstandenes Tief verfolgt häufig eine Vb-Zugbahn, macht sich also von dort in einem breiten Bogen über Österreich und Ungarn auf dem Weg nach Tschechien und Polen und zieht (meist unter Abschwächung) weiter nach Skandinavien oder ins Baltikum. Vb-Lagen entwickeln sich bevorzugt im Frühling und Herbst, treten aber prinzipiell zu allen Jahreszeiten auf. Sie werden nur an wenigen Tagen im Jahr beobachtet (Jährlichkeit: ca. 2,3).
Das gefährliche an der Vb-Wetterlage ist, dass das Tief über dem Mittelmeer gewaltige Mengen feuchtwarme Luft "tankt" und nach Mitteleuropa schaufelt, wo diese auf die dort befindliche kältere Luft aufgleitet und somit gehoben wird. Der hohe Wassergehalt der Mittelmeerluft löst über dem östlichen Mitteleuropa und je nach genauer Zugbahn über Ostdeutschland und/oder Ostbayern im Sommerhalbjahr langanhaltenden und mitunter intensiven Dauerregen aus, der sich durch Staueffekte im Umfeld der Mittelgebirge und nördlich der Alpen zusätzlich verstärkt. Im Winter hingegen wird ein Vb-Tief zum Schneebringer.
Die schlimmsten Auswirkungen der jüngeren Geschichte, die auf Vb-Tiefs zurückzuführen sind, waren das Oderhochwasser im Jahr 1997 und das Augusthochwasser an Elbe und Donau im Jahr 2002. Die nicht mehr ganz jungen Leserinnen und Leser unter Ihnen erinnern sich bestimmt noch an die Dammbrüche an der Elbe mit verheerenden Überschwemmungen. Oder Sie erinnern sich vielleicht an die politische Tragweite dieser Naturkatastrophe? Als "Krisenmanager in Gummistiefeln" profitierte Gerhard Schröder maßgeblich von den Auswirkungen des Vb-Tiefs. Er gewann wenige Wochen später die Bundestagswahl gegen den Kontrahenten Edmund Stoiber und ging so in seine zweite Amtszeit.
Weniger geschichtsträchtig und verheerend war Tief GISELA, das Mitte dieses Monats auf einer Vb-Zugbahn nach Polen zog. Im zweiten Teil analysieren wir an diesem Beispiel die typischen Eigenschaften und Auswirkungen einer Vb-Wetterlage.