Am Dienstag, den 01. Dezember, fiel pünktlich mit Beginn des meteorologischen Winteranfangs mit einem eher kleinräumigen Tief vor allem in den westlichen und südwestlichen Landesteilen bis in tiefe Lagen der erste Schnee, wenngleich die gebildete Schneedecke nur für wenige Stunden hielt, bevor es ihr mit der einsetzenden Milderung wieder an den Kragen ging. Aus der Entfernung betrachtet wirkt die weiße Masse dabei eher gleichförmig. Schaut man jedoch genauer hin, dann fällt auf, dass eine größere Schneeflocke aus mehreren zusammengewachsenen filigranen Schneekristallen besteht.
Die Bildung einer Schneeflocke beginnt mit winzigen Eispartikeln, die in den Wolken auf zweierlei Weise entstehen können. In sehr kalter Luft kann reiner Wasserdampf direkt zu Eispartikeln gefrieren. Dazu muss die Temperatur allerdings extrem niedrige Werte annehmen, nahe minus 40 Grad Celsius. Wesentlich typischer ist daher ein anderer Prozess, bei dem Staub- oder andere Aerosolpartikel eine zentrale Rolle spielen. Einzelne Wassermoleküle lagern sich an diese Partikel an und bei Temperaturen unter 0 Grad Celsius entstehen winzige unterkühlte Tröpfchen. Kühlt die Luft weiter ab, gefrieren die unterkühlten Wolkentröpfchen zu Eiskristallen. Zunächst sind sie nur wenige Mikrometer groß und weisen fast immer eine sechseckige Form auf. Diese dominierende Kristallstruktur von Eis sorgt für das Erscheinungsbild von hexagonalen Plättchen oder Säulen. Die Ursache für diese Strukturen liegt in der hexagonalen Anordnung der Wassermoleküle. Dabei befinden sich die Sauerstoffatome jeweils an den Ecken eines Sechsecks, und Wasserstoffbrücken verbinden sie mit den anderen Wassermolekülen.
Nach und nach lagern sich immer mehr Wassermoleküle an die Kristalle an und lassen diese wachsen, insbesondere an den Kanten. Wegen der hexagonalen Eisstruktur bilden sich auf diese Weise die für Schneekristalle typischen "Äste". In künstlerischen Darstellungen sehen sie absolut identisch aus, was jedoch nicht der Realität entspricht. Stattdessen findet man leicht asymmetrisch geformte Schneekristalle. Trotzdem ähneln sich die sechs Äste stark. Das liegt daran, dass die äußeren Bedingungen, die über das Eiswachstum entscheiden, für alle Äste identisch sind.
Die vermutlich bekannteste Veröffentlichung mit mehr als 2400 Fotografien von Schneekristallen lieferte der Amerikaner und Autodidakt Wilson Bentley in seinem Buch "Snow Crystals" aus dem Jahr 1931. Mit diesem Werk löste er eine Welle der Begeisterung für die filigranen Schönheiten aus, die bis nach Japan schwappte. So widmete sich der Physiker Ukichiro Nakaya ab dem Jahr 1933 an der Hokkaido Universität der eisigen Materie. Er schoss rund 3000 Fotos von natürlichen Eiskristallen. Anhand ihrer Morphologie - also ihrem Erscheinungsbild - unterteilte er diese in insgesamt 41 Grundformen darunter sieben Haupt- und weitere Nebentypen. Nach drei Jahren Forschung gelang es ihm auch erstmals, künstliche Eiskristalle wachsen zu lassen. Anhand seiner Ergebnisse stellte er daraufhin ein grafisches Diagramm zusammen, welches heute noch in der Fachliteratur als "Nakaya-Diagramm" bekannt ist und in der beigefügten Grafik (https://t1p.de/1r33) zu finden ist.
Nakaya stellte dabei fest, dass gewisse Beziehungen zwischen der Gestalt der Schneekristalle und den bei ihrer Entstehung vorherrschenden atmosphärischen Bedingungen existieren. Vor allem die Temperatur und Feuchtigkeit der Luft, in der ein Schneekristall heranwächst, beeinflussen seine spätere Form. Zum Beispiel bilden sich bei Temperaturen nahe minus zwei Grad Celsius hexagonale Plättchen, die mit zunehmender Feuchte immer komplexere Verästelungen ausbilden. Ähnlich verhält es sich mit Schneekristallen bei minus 15 Grad Celsius. Dann entstehen besonders formschöne Exemplare. Bei Temperaturen um minus sieben Grad Celsius hingegen entwickeln sich vorwiegend Eissäulen, -nadeln oder -prismen.
Die Feuchtigkeit, also der Wasserdampf, spielt ebenfalls eine grundlegende Rolle. In Abhängigkeit von Temperatur und Druck kann ein Luftpaket nur eine bestimmte Menge an Wasserdampf aufnehmen. Erreicht der Wasserdampf in der Luft die maximale Menge, spricht man von Sättigung. Bei Übersättigung nimmt die Luft darüber hinaus noch mehr Wasserdampf auf und es kommt zum Phasenübergang. Dann setzt Kondensation (von gasförmig zu flüssig) oder Resublimation (von gasförmig zu fest) ein und es bilden sich Tröpfchen oder Eiskristalle. Nakaya erkannte, dass mit steigendem Wasserdampfgehalt der Luft die Komplexität der Struktur der Kristalle zunimmt und diese somit filigranere Strukturen ausbilden.
Es existieren allerdings viele Misch- oder Übergangsformen. Die Schneekristalle können durchaus in einer bestimmten Form zu wachsen beginnen. Auf ihrem Weg zum Boden sind sie jedoch oft höchst unterschiedlichen Temperatur- und Feuchtigkeitswerten ausgesetzt. Dadurch wachsen die Schneekristalle mal mehr in die Breite oder mal filigraner an den Spitzen und können so sehr komplexe kristalline und individuelle Formen annehmen. Typischerweise erreichen sie einen Durchmesser von wenigen Millimetern. Je größer die Kristalle werden, desto schneller fallen diese dem Erdboden entgegen. Das führt unweigerlich zu Kollisionen. Verhaken sich mehrere Kristalle, bilden sie Schneeflocken, was besonders leicht bei Temperaturen nahe null Grad Celsius passiert, denn dann ist der Schnee recht feucht. Die daraus entstehenden Schneeflocken können durchaus so groß wie Walnüsse werden, ohne auseinanderzufallen. Bei extrem windarmen und feuchten Bedingungen wurden auch noch größere Flocken beobachtet (in der Zunft der Meteorologen oft scherzhaft "Toastbrotflocken" getauft).
Vielleicht gehen Sie beim nächsten Schneefall auf Ihre ganz eigene Entdeckungstour und erkunden die in jedem Fall einzigartigen Schneekristalle!