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22. Februar 2012 | Dipl.-Met. Marcus Beyer

Warum nur einen Modelllauf nehmen, wenn man 52 haben kann?

In der Vergangenheit wurde schon mehrfach über das Gebiet der
mittelfristigen Wettervorhersage geschrieben. So wurde zuletzt am
06.02.2012 über das EZMW in Reading geschrieben.

Im heutigen Thema des Tages soll es nun um die vom EZMW zur Verfügung
gestellten Produkte gehen, genauer gesagt um die Ensemblevorhersage.

Alle 12 Stunden gibt es eine neue Modellrechnung vom EZMW. Wobei
"eine" nicht das richtige Wort ist. In Wirklichkeit wird ein und
dasselbe Modell 52 mal gerechnet. Nun kommt sicherlich die Frage,
warum man so einen "Blödsinn" macht?!

Dazu muss man verstehen, dass eine Wettervorhersage mit großen
Unsicherheiten behaftet ist. Die Atmosphäre ist nämlich ein
chaotisches System, bei dem kleinste Änderungen schon eine große
Wirkung haben können. Man erwähnt in diesem Zusammenhang auch gerne
den Schmetterlingseffekt und die Frage: "Kann der Flügelschlag eines
Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?"

Wenn nun kleinste Änderungen schon große Wirkung haben können, gibt
es bereits Probleme den aktuellen Zustand der Atmosphäre exakt zu
erfassen. So gibt es nur eine gewisse Anzahl von Wetterstationen,
aber selbst auf kurzer Entfernung kann es gravierende Unterschiede
geben. Während es in einem Ortsteil gewittert, scheint im anderen die
Sonne Oder: In kleinen Talmulden wird es deutlich kälter als auf der
Bergkuppe. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die zeigen, dass
es gar nicht möglich ist den Zustand der Atmosphäre so genau zu
erfassen wie es notwendig wäre.
Nun könnte man argumentieren, dass es ja auch die Wettersatelliten
gibt. Es stimmt, dass diese den Zustand der Atmosphäre flächendeckend
erfassen können. Satelliten sind aber sehr weit weg und haben
entsprechende Messunsicherheiten. Wolken und andere Partikel in der
Atmosphäre verhindern zudem, dass der Satellit immer bis zum Erdboden
schauen kann.

Da man diesen Mangel nicht ändern kann, versucht man sich zu helfen,
indem man das Modell 52 mal rechnet. Dafür variiert man die
Anfangsbedingungen (also die verwendeten Wettermeldungen) jedes Mal
ein bisschen. Damit trägt man der Messunsicherheit Rechnung. Mit
diesen ganz leicht veränderten Bedingungen rechnet man das
Wettermodell mehrfach und bekommt somit 52 verschiedene Ergebnisse.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Ensemble. Zu Beginn
sind die Lösungen meist recht ähnlich. Je weiter man in die Zukunft
geht, desto größer werden die Unterschiede, bis die Modellergebnisse
irgendwann völlig verschieden sind.

Erwähnt sei noch, dass es immer einen Hauptlauf gibt, der in einer
höheren räumlichen Auflösung gerechnet wird. Die anderen 51 Member
sind etwas schlechter aufgelöst um in einer annehmbaren Zeit
überhaupt so viele Rechnungen durchführen zu können. Der Hauptlauf
ist als zunächst erstmal die Grundlage für die Vorhersage.
Um den Unterschied zwischen der höheren und niedrigeren Auflösung zu
sehen, wird einer der 51 Rechnungen mit exakt denselben
Anfangsbedingungen wie der Hauptlauf gerechnet (Kontrolllauf). Bei
den anderen 50 Membern werden diese Bedingungen dann wie oben
angesprochen leicht verändert.

Der Kollege, der sich mit der Mittelfrist beschäftigt, nutzt die
Ensembles bei der Erstellung seiner Prognosen. Angenommen der
Meteorologe hätte nur eine Modelllösung, dann wüsste er gar nicht,
wie sicher die Vorhersage ist. Betrachtet er hingegen die
Zusammenfassung aller Rechnungen, kann er an der Größe der
Unterschiede erkennen, ob ein vorhergesagtes Ereignis eher sicher
oder unsicher ist. Auch kann er erkennen, ob die Lösung des
Hauptlaufes eventuell eine Außenseiterlösung darstellt, weil sie sich
stark von den anderen Lösungen unterscheidet.

Plume-Diagramm für Oslo
Plume-Diagramm für Oslo



Eine Möglichkeit alle Modellrechnungen auf einmal zu betrachten ist
die Darstellung in Form sogenannter Rauchwolken (Plumes). In solch
einer Grafik wird zum Beispiel die von jedem Modell prognostizierte
Temperatur in Abhängigkeit von der Zeit aufgetragen. Damit lässt sich
relativ einfach sehen, wie nah die Vorhersagen beieinander liegen, ab
welchem Tag die Unsicherheiten beginnen und wann keine vernünftige
Vorhersage mehr möglich ist.
Darüber hinaus lassen sich Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten von
bestimmten Wettererscheinungen berechnen. Zum Beispiel kann geschaut
werden, wie viele Modellrechnungen das Auftreten von Windböen in
einem bestimmten Gebiet zeigen und damit eine Aussage darüber machen,
wie wahrscheinlich dieses Ereignis ist.

Dies war nur ein klitzekleiner Einblick in die Ensemblevorhersage und
die Wahrscheinlichkeitsprognosen. Die Nutzung der
Vorhersageunsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten in der
Wettervorhersage hält immer mehr Einzug bei den Wetterdiensten und
wird zukünftig ein tragendes Element sein.


© Deutscher Wetterdienst

Bild: ECMWF