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24. August 2024 | Dipl.-Met. Marcus Beyer

Tornado „ja“ oder „nein“?

Tornado „ja“ oder „nein“?

Datum 24.08.2024

In den vergangenen Wochen und Monaten gab es einige sehr interessante Tornadoverdachtsfälle. Im heutigen Tagesthema wird eine Auswahl vorgestellt und gezeigt, welche sich bereits bestätigt haben und welche nicht.

Einleitung

Im Jahr 2024 hat es bereits 32 bestätigte Tornadofälle gegeben. Daneben gibt es aber auch eine Vielzahl (noch) unbestätigter Verdachtsfälle. Gesammelt werden diese von Thomas Sävert in der „Tornadoliste“ (siehe "Weitere Informationen zum Thema"). Im Frühjahr des Folgejahres werden die Verdachtsfälle auf einem Treffen der Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland (siehe "Weitere Informationen zum Thema") nochmal genau angeschaut, sodass sich die Zahl der bestätigten Tornados nachfolgend in aller Regel etwas erhöht.

Auch während der laufenden Saison werden Verdachtsfälle bereits näher unter die Lupe genommen, besonders dann, wenn sie erhöhte Medienaufmerksamkeit erhalten haben. Die Tornado-Expertengruppe des DWD (Thema des Tages 18.07.2024) steht dabei in engem Austausch mit den oben genannten Gruppen und Personen. Dazu gehören auch Thilo Kühne von der Europäischen Unwetterdatenbank (siehe "Weitere Informationen zum Thema") und Hendrik Sass vom Tornado Kartierungs- und Untersuchungsprojekt Deutschland (siehe "Weitere Informationen zum Thema").

Die Frage „Tornado „ja“ oder „nein“?“ gestaltet sich dabei manchmal als wahre Detektivarbeit. Wir wollen nun auf sechs interessante oder kuriose Fälle schauen.

Hagen (29.05.2024)

Relativ kurze Zeit nach dem Ereignis an einem Mittwochnachmittag kursierten in den Onlinemedien bereits erste Bilder von den aufgetretenen Schäden. Ganz präsent dabei ist das Bild vom abgerissenen Dachstuhl der St. Elisabeth Kirche. Auch wenn mit den Bildeindrücken für viele nur ein Tornado für die Schäden verantwortlich sein konnte, war die Sachlage zunächst nicht ganz klar. So wurden auch an zwei Stationen des engmaschigen Wettermessnetzes von Hagen hohe Windgeschwindigkeiten gemessen.

Nach und nach erreichten den DWD aber auch Videos, auf denen im Verlaufe des Ereignisses wechselnde Windrichtungen erkennbar waren (ein klares Indiz für einen Tornado). Schließlich fand eine Vor-Ort-Analyse durch TorKuD statt, wobei auch eine Drohne zum Einsatz kam. Diese Schadensbildanalyse brachte dann endgültig Klarheit: Die vom Radar erfasste Superzelle hatte einen Tornado produziert.


Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild aus Hagen. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Alex Talash))
Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild aus Hagen. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Alex Talash))


Gröditz (18.06.2024)

Das Schadensbild nach dem Ereignis am frühen Dienstagabend war enorm. Sogar Strommasten wurden bei Gröditz umgeknickt wie Streichhölzer. Auch diesmal kam sofort die Vermutung auf, dass es zu einem Tornado gekommen ist. Diesmal brachte die Schadensanalyse aber anderes zu Tage.

Schaut man sich die zahlreichen Schadenmeldungen an, so wird klar, dass es keine enge Schadensschneise gab (typisch für Tornados), sondern eine breite Schadensspur. Oder anders gesagt, die Schäden waren so großräumig zu verzeichnen, dass diese eigentlich nicht durch einen Tornado hätte verursacht werden können.

Tatsächlich erkennt man auf den Radarbildern eine langlebige rotierende Gewitterzelle (eine sogenannte Superzelle). Zum Zeitpunkt der stärksten Schäden (geschätzte Windgeschwindigkeiten um 180 km/h), erkennt man im Radar ein sogenanntes Bogenecho – ein nach vorne ausgebeultes Reflektivitätsbild. Solche Signaturen sind immer ein Indiz für eine starke Beschleunigung des Windes. Diese Bilder stützen damit die These eines starken Downbursts. Ein Downburst sind ist im Vergleich zu einem Tornado ein lineares Windereignis (der Wind weht nur in eine Richtung).

Im Übrigen gab es an diesem Schwergewittertag trotzdem drei Tornados, allerdings weiter nördlich über Südniedersachsen (Hohenbüchen, Bockenem und Heere), wo die Bedingungen für Tornados mit einer niedrigen Wolkenuntergrenze nochmal deutlich besser waren, als in Gröditz.


Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild bei Gröditz. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Jens Berger))
Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild bei Gröditz. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Jens Berger))


Philippsburg (03.07.2024)

Auf dem Radarbild erkennt man in den Abendstunden eine eher unspektakuläre Schauerzelle. Allerdings ist etwas besonderes daran: Das Radarbild zeigt ein sogenanntes Hakenecho, eine typische Signatur für eine rotierende Superzelle. Die rotierende Zelle konnte auch vom Radar abgeleiteten Algorithmen detektiert werden.

Die Rotation war auch am Himmelsbild auszumachen und so machte sich der Meteorologe Jannick Fischer vom KIT (Karlsruher Institut für Technologie) mit Kamera auf den Weg die verdächtige Zelle zu verfolgen. Und tatsächlich: Kurze Zeit später bildete sich ein kurzlebiger Tornado, den Jannick Fischer auf einem Video festhalten konnte.

Dieser Fall zeigt zweierlei Dinge: Erstens, auch nichtelektrische Schauerzellen können Superzellen sein und Tornados hervorbringen. Und zweitens: Ohne die Zufallsbeobachtung von Herrn Fischer, wäre dieser Fall wohl unentdeckt geblieben und nicht dokumentiert worden. Der eher schwache Tornado hat nämlich nur kleinere Schäden verursacht. Dieser Fall ist auch ein Hinweis darauf, dass es jedes Jahr immer noch unentdeckte Tornadofälle gibt, vor allem in weniger besiedelten Regionen.


Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen den gefilmten Tornado bei Philippsburg. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Jannick Fischer))
Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen den gefilmten Tornado bei Philippsburg. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Jannick Fischer))


Bedburg (09.07.2024)

Ein interessanter Verdachtsfall ereignete sich an einem Dienstagabend kurz nach 21 Uhr in Bedburg, genauer gesagt in Alt-Kaster. Dort wurden mehrere Dächer in Teilen abgedeckt und Bäume entwurzelt. Von einer „Schneise der Zerstörung“ ist in den Medien zu lesen.

Ein erster Blick auf das Radarbild zeigte allerdings – nichts. Weder ein Gewitter noch eine Schauerzelle war zum Zeitpunkt des Ereignisses über Bedburg zu sehen. Aber wie kamen dann diese Schäden zu Stande?

Nach genauer Untersuchung konnte schließlich des Rätsels Lösung gefunden werden. Weiter westlich des Ereignisortes gab es eine Gewitterlinie. Nun passiert es nicht selten, dass sich abschwächende Gewitterlinien, die durch die Niederschlagsabkühlung produzierte Kaltluft von sich wegstoßen. Dies führt zu einer starken Beschleunigung. Man spricht von sogenannten Outflow Boundaries, die auch weit vor den eigentlichen Gewittern durchziehen können.

Ein Hinweis auf starken Wind durch eine Outflow Boundary lieferte auch eine Meldung der Chaser-Organisation Skywarn, etwas weiter westlich des Ereignisortes. Während man diese dominante von West nach Ost wandernde Outflow Boundary auch mit schwachen Reflektivitäten im Radarbild entdecken konnte, gab es noch eine zweite schwächere Outflow Boundary (von Nordwest nach Südost vorankommend), die nur sehr schwer zu erkennen war.

Der Zufall wollte es, dass sich beide Linien genau über Alt Kaster trafen. Dadurch gab es mutmaßlich zusätzliche Verwirbelungen und lokale Windverstärkungen und in der Folge entwurzelte Bäume und abgedeckte Dächer im Stadtteil von Bedburg.

Dieser kuriose Fall zeigt, dass durch Zufälle manchmal auch abseits der eigentlichen Gewitterzellen starke Windgeschwindigkeiten auftreten können.


Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild mit den Outflow Boundaries zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild aus Alt Kaster. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Dennis Vlaminck))
Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild mit den Outflow Boundaries zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild aus Alt Kaster. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Dennis Vlaminck))


Lendershausen/Hofheim (12.07.2024)

Diese Verdachtsfall hat es in die Liste geschafft, weil der Zeitpunkt des Ereignisses eher ungewöhnlich war. Um 07:10 Uhr Ortszeit am Freitagmorgen wurden große Schäden rund um Lendershausen und Hofheim registriert. Das Schadensbild ließ Windgeschwindigkeiten um 150 km/h erwarten. Für diese frühen Morgenstunden sind solche Ereignisse eher ungewöhnlich.

Die Radarbilder ließen eine stark rotierende Superzelle erkennen. Ein Tornado schien also durchaus plausibel. Eine detaillierte Schadensanalyse, die dank einer guten Dokumentation der Schäden durch eine betroffene Person möglich war, zeigt aber schließlich ein recht breites Schadensbild. Da man für einen Tornado aber eher eine recht enge Schneise erwartet, sprechen die Indizien in diesen Fall eher für einen Downburst.


Auf der Grafik sieht man zum einen die aus dem Radarbild abgeleitete Rotationsspur zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild aus der Region. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Alexander Haepp))
Auf der Grafik sieht man zum einen die aus dem Radarbild abgeleitete Rotationsspur zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen ein Schadensbild aus der Region. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Alexander Haepp))


Telgte, Marienfeld, Dissen, Sendenhorst (12.07.2024)

Gleicher Tag, andere Region und Tageszeit. In den Nachmittagsstunden betroffen waren Teile von Nordrhein-Westfalen. Eine Gewitterlinie zog von Südwest nach Nordost über die Region hinweg. Solche Gewitterlinien sind durch lokale Beschleunigungen (zu erkennen an Bogenechos) immer auch gut für starke Fallböen (Downbursts). Gleichzeitig ließen sich in der Gewitterlinie aber auch mehrere Bruchstellen erkennen, an denen sich Wirbel ausbilden können.

Klarheit brachte schließlich ein Vor-Ort-Analyse von TorKuD. Wie sich herausstellte waren die Schäden klar tornadisch. Zu erkennen ist dies unter anderem an dem Fallmuster der Bäume oder Spuren im Feld, die mit Drohnenaufnahmen detektiert wurde.

Die Analyse brachte zudem zu Tage, dass es nicht nur einen Tornado gegeben hat, sondern ganze vier. Daran erkannt man einmal mehr, wie wichtig die Arbeit der Schadenserfassung und Dokumentation ist.


Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen Standbild aus einem Video, welches den Tornado bei Telgte zeigt. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Emily Grümna))
Auf der Grafik sieht man zum einen das Radarbild zum Zeitpunkt des Ereignisses und zum anderen Standbild aus einem Video, welches den Tornado bei Telgte zeigt. (Quelle DWD - Deutscher Wetterdienst(Emily Grümna))


Nachwort

Sechs Beispiele, sechs interessante, teils auch kuriose Fälle. Sie geben Einblick in die Arbeit der Tornado-Expertengruppe des DWD und vieler Freiwilliger, die selbst Kosten und Mühen für eine Vor-Ort-Analyse nicht scheuen.

Übrigens: Mehr zu Tornados in Deutschland erfahren Sie in unserem Infovideo(siehe "Weitere Informationen zum Thema").
Sie erreichen die Tornado-Expertengruppe über die Mailadresse: tornado@dwd.de



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