In der Meteorologie ist vieles miteinander verknüpft. So kann man die Entwicklung von Sturm Éowyn, vom Britischen Wetterdienst benannt, mit dem massiven Kaltluftausbruch in den Süden der USA in Verbindung setzen. Durch die großen Temperaturunterschiede im Bereich der Kaltfront dort und auf dem Westatlantik gab es sehr gute Bedingungen für die Bildung eines Tiefs. Dieses Tief, Éowyn, zieht seit dem gestrigen Mittwoch rasch über den Nordatlantik nach Osten und erreicht Irland in der Nacht zum morgigen Freitag. Unglücklicherweise für Irland findet die Entwicklung des Tiefs erst kurz vor Erreichen der Insel ihren Höhepunkt.
Dieser Höhepunkt hat es in sich. Freitagfrüh simulieren die verschiedenen Wettermodelle für Éowyn, der dann knapp westlich von Irland liegt, einen Kerndruck zwischen 933 und 945 hPa. Dies sind außerordentlich niedrige Werte für diese Region. Der Irlandrekord für den niedrigsten Luftdruck liegt bei 931 hPa und stammt vom 28. November 1838. Doch nicht nur der absolute Luftdruck ist bemerkenswert, auch der Luftdruckfall ist enorm. Von Heute früh mit etwa 985 hPa geht es in 24 Stunden um 40 bis 50 hPa abwärts.
Aus diesem tiefen Luftdruck folgt ein extremer Luftdruckgradient an der Südseite des Tiefs, die zu sehr hohen Windgeschwindigkeiten führen wird. Dabei stellt sich für Irland und Nordirland nicht die Frage, ob Orkanböen auftreten, sondern inwieweit die Windgeschwindigkeiten oberhalb der Schwelle von 118 km/h für Orkanböen liegen werden. Es ist anzunehmen, dass der Schwellwert vor allem an der Westküste Irland verbreitet und deutlich überschritten wird. Das Modell des Deutschen Wetterdienstes ICON zeigt beispielsweise eine Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent für Orkanböen über 140 km/h für diese Region. Das heißt, dass jedes Ensemblemitglied des Modells Böen größer dieser Geschwindigkeit berechnet. Der Blick auf die Hauptläufe der verschiedenen Modelle zeigt maximale Böen an der Westküste, die zwischen 180 und 210 km/h in den Simulationen liegen. Auch hier werfen wir einen Blick in die Geschichtsbücher. Der Rekord für Irland (seit 1942) datiert vom 18.01.1945 am Flughafen Foynes an der Westküste Irlands mit 182 km/h.
Entsprechend der eindeutigen Ergebnisse der Wettermodelle haben die nationalen Wetterdienste in Irland und Großbritannien bereits seit mehreren Tagen auf dieses potenziell verheerende Ereignis hingewiesen und mittlerweile Warnungen der höchsten Warnstufe herausgegeben. In Großbritannien sind vor allem Nordirland und weiter östlich gelegen Teile der Hauptinsel mit den Städten Glasgow und Edinburgh betroffen. Angesichts der Windgeschwindigkeiten muss mit zahlreichen umgestürzten Bäumen, unterbrochener Stromversorgung, umherfliegender Teile und in Küstennähe auch durch Überflutungen gerechnet werden. Die hohen Windgeschwindigkeiten treiben das Wasser an die Westküsten und der sehr hohe Seegang kann zum Überfluten von Schutzstrukturen führen.
Auf offener See westlich von Irland simulieren die Modelle zum Teil deutlich über 200 km/h Windgeschwindigkeiten als Böen und Windmittel von etwa 170 km/h. Dies lässt Vergleiche zu Hurrikanen zu, die zwar eine andere Entstehungsgeschichte, aber zum Teil ähnliche Windgeschwindigkeiten haben. Éowyn erreicht mit den genannten Werten auf der fünfstufigen Saffir-Simpson-Hurrikan-Windskala den Wert eines Hurrikans der Kategorie 2. Weil der Sturm so außergewöhnlich ist, wurde ein Flugzeug der „hurricane hunter“ aus den USA nach Irland verlegt. Das Flugzeug „Kermit the Frog“ wird Aufklärungsflüge in Éowyn fliegen, um dessen Stärke und Struktur besser bestimmen zu können.
Für Deutschland sind die Auswirkungen von Éowyn dagegen überschaubar. Zwar frischt am Freitag vor allem in der Westhälfte der südwestliche Wind auf, stürmisch wird es aber nur in exponierten Lagen und im höheren Bergland sowie an der Nordsee. Doch auch dort sind die Windgeschwindigkeiten viel geringer als über den Britischen Inseln. Bemerkenswerter sind da schon die Höchsttemperaturen, denn Éowyn führt milde Luft subtropischen Ursprungs in den Süden Deutschlands. Am Freitag werden am Oberrhein bis zu 12, am Samstag sogar bis 16 Grad erreicht.